Zum Abschluss einer langen und vor allem beeindruckenden Laufsaison stellt sich MCM Ultatrailrunner und Trailrunning-Coach Daniel Böcker noch einmal einer extremen Herausforderung. Seinen in diesem Jahr bereits gelaufenen 8 Ultra Läufen – davon 6 von 45 bis 100 km und 2 über 100 km – fügt er mit der Teilnahme am KoBoLT (Koblenz-Bonn – Lauf Trail) über 140 km einen weiteren „100er plus“ hinzu. Die Strecke mit über 4.400 Höhenmetern wird dabei komplett auf dem Wanderweg Rheinsteig gelaufen. Das Zeitfenster des Rennens mit einem Großteil des Rennens in der Dunkelheit, die äußeren Bedingungen zu dieser späten Jahreszeit sowie lediglich 4 Verpflegungspunkte auf der gesamten Strecke verlangen den Teilnehmenden alles ab. Daniel nimmt uns mit auf seine Reise über den Rheinsteig und schildert uns das Erlebte aus seiner Perspektive.
„Mit großem Respekt im Gepäck mache ich mich um kurz vor 7 Uhr auf den Weg nach Koblenz. Obwohl der KoBoLT mit 140 Kilometern der zweitlängste Wettkampf ist, an dem ich bisher teilgenommen haben, sind es vor allem die erwarteten Temperaturen in der Nacht und das Navigieren ohne richtige Streckenmarkierungen die mir zu denken geben. Relativ ausgeschlafen treffe ich nach knapp 2 Stunden Anfahrt pünktlich zum Race-Briefing in der Jupp-Gassen-Halle in Koblenz ein. Nach letzten wichtigen Hinweisen zum Rennen geht es mit dem Bus nach Bonn zum Start auf den Aussichtssturm der Festung Ehrenbreitstein. Kurz vor der Ankunft kontrolliere ich noch einmal meine Ausrüstung und stelle fest, dass mein Rucksack komplett durchnässt ist. Eine meiner Softflasks ist ausgelaufen und defekt. Somit habe ich nur einen Liter Flüssigkeit für die 37 Kilometer bis zum ersten Verpflegungspunkt zur Verfügung. Ein Problem, das mich noch das ganze Rennen verfolgen wird.
Pünktlich um 11 Uhr fällt der Startschuss. Ich gehe vorne im Feld mit. Mein Ziel ist es, die Strecke in unter 20 Stunden zu bewältigen. Das Anfangstempo ist hoch und man spürt direkt, dass hier viele ambitionierte Läuferinnen und Läufer mitmischen. Ich fühle mich gut in Form. Die ersten 20 Kilometer vergehen wie im Flug. Fast die ganze Zeit bin ich alleine unterwegs, denn das Feld hat sich schnell deutlich auseinandergezogen. Dann sind aber bereits meine Wasservorräte aufgebraucht. Ich verfalle in leichte Panik. Normalerweise dehydriert man nicht so schnell. Aber mein Kopf spielt mir hier einen Streich und in Gedanken mache ich das Problem größer, als es ist. Ich versuche möglichst wenig zu schwitzen. Mein Tempo geht entsprechend deutlich nach unten, sodass mich einige Läufer überholen. Endlich komme ich am ersten Verpflegungspunkt an, wo ich meine Freundin Marina treffe. Das hebt sofort die Stimmung. Sie unterstützt mich bestmöglich, indem sie mich mit einem Teller Suppe versorgt und mir Mut zuspricht. Glücklicherweise gibt es hier 0,5 Literflaschen Iso-Getränk. Damit habe ich nun endlich einen Ersatz für die defekte Softflask. Nach einer kurzen Pause geht es für mich weiter auf den nächsten Abschnitt, der mit einem schön flowigen Downhill beginnt. Ich bin nun wieder besser unterwegs aber auch erneut ganz allein, was mir heute komischerweise sehr zu schaffen macht.
Mit dem Erreichen der 50 Kilometer Distanz beginnt es langsam dunkel zu werden. Die letzten 2 Stunden konnte ich nicht genießen. Die Einsamkeit zermürbt mich mittlerweile. Als ich mich gerade für die Nacht vorbereiten will und meine Stirnlampe heraushole, erkenne ich meine Freunde Sarah, Saskia und Janthur in einiger Entfernung. Nachdem ich zu ihnen aufgeschlossen habe, gebe ich meine ursprüngliche Absicht auf, alleine weiterzulaufen. Ich schließe mich den dreien an – die beste Entscheidung des Tages. Wir haben eine tolle gemeinsame Zeit und die 21 Kilometer bis zum nächsten Verpflegungspunkt verlaufen völlig gelöst. Hier verpflegen wir uns mit heißer Karottensuppe und füllen unsere Vorräte auf. Mein Wasser war bereits vor fast 2 Stunden leer. 1.5 Liter sind für die langen Distanzen zwischen den Verpflegungspunkten einfach zu wenig. Doch das kann ich nun nicht mehr ändern.
Als wir aus dem Verpflegungspunkt kommen, trifft uns der Schlag oder besser gesagt die Kälte. Nur in Bewegung bleiben hilft jetzt. Nach ein paar hundert Metern fällt Saskia auf, dass sie ihre Stöcke im Verpflegungspunkt vergessen hat. Sie läuft zurück. Wir versuchen uns jeder auf seine Art irgendwie warm zu halten. Sarah macht dies mithilfe von Sprints bergauf und bergab. Nach 71 Kilometern und fast 3.000 Höhenmetern ein unwirkliches Bild.
Seitdem es dunkel ist, fällt uns die Navigation extrem schwer. Wir verlaufen uns regelmäßig. Die Symbole des Rheinsteigs reflektieren nicht und sind zum Teil bereits verblasst. Das kostet Nerven und drückt auf die Stimmung.
Bis zum Verpflegungspunkt3 bei Kilometer 91 geht es durch die Weinberge auf teils technisch anspruchsvollen und sogar seilversichterten Passagen. Hier bin ich in meinem Element und fühle mich wohl. Auf den zwischenzeitlich langen Flachstücken und sanften Anstiegen, muss ich hingegen kämpfen, um an unserer Gruppe dranzubleiben. Mittlerweile bin ich mir bewusst, dass ich meine Zielzeit von 20 Stunden nicht erreichen werden. Meine Energiereserven sind aufgebraucht, da ich zu wenig getrunken habe. Auch das Streckenprofil passt nicht wirklich zu meinem Training in diesem Jahr, welches komplett auf die langen alpinen Distanzen ausgelegt war. Zweifel, das Rennen zu finishen, habe ich aber trotzdem zu keinem Zeitpunkt. Seit meinem Abenteuer in den Pyrenäen, weiß ich, dass ich immer irgendwie vorwärtskomme, egal was passiert.
Mein Freund Janthur plagt sich leider mit Problemen an der Achillessehne und teilt uns mit, dass er am nächsten Verpflegungspunkt aussteigen wird. Das stimmt uns traurig. Wir sprechen nicht mehr viel bis wir da sind. Der Verpflegungspunkt ist in etwas wie einer Jagdhütte eingerichtet, die mit einem Kamin beheizt wird. Beim Eintritt ist es sofort unvorstellbar heiß. Aus Erfahrung weiß ich, dass dies problematisch für den Kreislauf sein kann, wenn man anschließend wieder in raus in die Kälte kommt. Also bleibe ich im Vorraum und ziehe mir die trockene Kleidung aus dem Dropbag an. Wir gönnen uns ein Malzbier und eine Karottensuppe, die uns von dem freundlichen Helfer gereicht werden, der sich hier liebevoll um die Läuferinnen und Läufer kümmert. Zu dritt geht es dann für uns weiter in Richtung Siebengebirge auf die letzten 50 Kilometer.
Zu Beginn kann ich noch gut mit Sarah und Saskia mithalten. Mit der Zeit falle ich immer wieder zurück. Ich bin unglaublich müde und ausgezerrt. Bei Kilometer 105 sage ich den beiden, dass sie ohne mich weiterlaufen sollen. Sie sind so gut drauf! Ich will sie nicht bremsen, auch wenn sie sicher bei mir geblieben wären, wenn ich darum gebeten hätte. Nach einigen Minuten sind die beiden Lichtkegel vor mir in der Dunkelheit verschwunden. Jetzt beginnt für mich ein harter Kampf und es geht nur noch schleppen vorwärts. Ich verlaufe mich nun in immer kürzeren Abständen, da ich nicht mehr aufmerksam genug bin. Teilweise schlafe ich sogar beim Laufen für kurze Augenblicke ein.
Nach einiger Zeit kommen mir Läuferinnen und Läufer der 73 Kilometer Distanz entgegen. Das macht zwar die Verwirrung in Bezug auf die Streckenfindung komplett, aber es bringt auch etwas Abwechslung in die Monotonie. Dann kommt mir mein Freund Christian entgegen, der heute seine längste Distanz bisher läuft. Wir klatschen uns ab und es gibt mir noch einmal einen Motivationsschub.
Bei Kilometer 117 dann endlich der letzte Verpflegungspunkt. Ich halte mich nicht lange auf und mache mich nach einer Stärkung direkt wieder auf den Weg. Jetzt will ich es einfach nur zu Ende bringen.
Es geht auf endlosen Waldautobahnen in Richtung Bonn. Im Dunkeln sieht alles gleich aus. Nun ist es Zeit für den Energydrink, den ich in meinem Dropbag deponiert hatte und seit über 30 Kilometern mit mir rumschleppe. Mit neuer Energie laufe ich immer wieder für kurze Strecken an, durchgängiges Laufen ist schon lange nicht mehr drin.
Nach 14 Stunden in absoluter Dunkelheit wird es endlich hell. Die letzten Kilometer verbringe ich quasi auf Autopilot. Eigentlich würde ich gerne meine Kopfhörer aus dem Rucksack holen und Musik hören. Aber irgendwie fehlt mir der Antrieb, noch einmal anzuhalten, um dann wieder loszulaufen. Ein Schritt vor den anderen, ohne Unterlass lautet jetzt die Devise.
Dann endlich lichtet sich der Wald und es geht nach einem kurzen Stück durch Bonn-Oberkassel die letzten Meter direkt am Rhein entlang. Hier peitscht mir der Wind entgegen und kühlt mich endgültig komplett aus. Doch das spielt nun keine Rolle mehr, denn die Sporthalle und damit das Ziel sind in Sicht. Nach 22 Stunden und 27 Minuten erreiche ich den ausgerollten roten Teppich. Man hängt mir die wohlverdiente Medaille mit dem grünen Kobold um. Sarah und Saskia empfangen mich herzlich. Sie haben die Frauenkonkurrenz mit großem Abstand gewonnen und waren über eine Stunde schneller als ich im Ziel.
Der KoBoLT wird mir als besonders extreme Herausforderung in Erinnerung bleiben. So lange größtenteils allein in der Dunkelheit bei widrigen äußeren Bedingungen zu laufen, ist sowohl mental als auch körperlich unvorstellbar anstrengend. Bei so wenigen Verpflegungspunkten ohne zusätzliche natürliche Wasserquellen sind die Zusammenstellung der mitgenommenen Verpflegung und der Ausrüstung eine Challenge für sich. Auch wenn ich mein Ziel von 20 Stunden nicht erreichen konnte, bin ich mit dem Ergebnis letztendlich mehr als zufrieden. Mit einer spezifischen Vorbereitung auf diese Art von Strecke wäre es für mich sicher möglich, das gesteckte Ziel zu erreichen. Für mich wird der KoBoLT aber ein einmaliges Erlebnis bleiben, sehe ich mich doch eher auf den alpinen Strecken, zumindest wenn es um die ganz langen Distanzen geht.“
Die Medaille vom KoBoLT 140 – der Lohn im Ziel!